4. INTAVOLIERUNGSREGELN NACH GANASSI
Da die Regola Rubertina ein "praktisches Lehrbuch"
(Q.1)
sein soll, halte ich es durchaus für denkbar, daß Ganassi auf kleinem Raum ein
möglichst breites Spektrum von Intavolierungsvarianten zeigen wollte. Dies
veranschaulichen einerseits die oft unterschiedlichen Lösungen an
Parallelstellen, andererseits sind manchmal auch Stellen abgeändert, die in der
Originalform spielbar gewesen wären. Alle durch die Intavolierung bedingten
Veränderungen des Madrigals lassen sich jedoch in den folgenden sechs Punkten
zusammenfassen:
1. Zu großer Abstand Tenor -
Bass:
Ganassi versucht den dreistimmigen Satz möglichst ohne eingefügte Akkordtöne wiederzugeben, wobei er mehrmals zu überraschenden Ergebnissen kommt:
- 1.1 Der Tenor wird weitergeführt (und nicht, wie man vielleicht annehmen könnte, der Bass), und der Bass nachgeliefert. Takt: 3, 23, 27, 36
Andere Möglichkeiten zur Überbrückung des Abstandes sind:
- 1.2 Das Ausfüllen der Oktave mit einer Quint, jedoch nur falls kein Oktavgriff möglich ist. Takt: 15, 17, 19, 25
- 1.3 Eine Oktavierung des Basses nach oben, wenn das Intervall vorher und nachher eine Quart, Quint oder Oktav ist, oder nach Pausen. Takt: 12, 28
- 1.4 Wie 1.3 mit nachschlagender tiefer Oktave. Takt 32, 33
2. Unterteilen und Zusammenziehen:
Ein weiteres Intavolierungsmittel Ganassis ist das Unterteilen und Zusammenziehen von Noten gleicher Tonhöhe:
- 2.1 Ganze und längere Notenwerte werden zur Klangverlängerung wenn möglich in Halbe unterteilt. Takt: 3/4, 20
- 2.2 Halbe Noten und punktierte Viertel können aus klanglichen, Strich- oder Variationsgründen in zwei Viertel bzw. Viertel und Achtel aufgelöst werden. Takt: 19, 22/23, 29, 30/31, 31/32
- 2.3 Zur Verstärkung der Dissonanz werden Quart-Vorhalte und deren Vorbereitung in Viertel unterteilt. Takt: 10/11, 14, 28, 36
- 2.4 Zwei Viertelnoten gleicher Tonhöhe können zu einer halben Note zusammengezogen werden. Takt: 12
3. Kadenzfloskeln:
Kadenzfloskeln vereinfacht Ganassi zu normalen Vorhalten und unterteilt sie wie bei 2.3 (nur 4-3 Vorhalte). Takt: 14, 28, 36
4. Freie Lösungen:
Diese Stellen wären auch in der Originalform oder nach einer der oben genannten Regeln spielbar. Sie sind meines Erachtens als Erweiterung des Intavolierungsspektrums im Sinne des "praktischen Lehrbuchs" (Q.1) zu verstehen.
5. Variation:
Interessant ist, dass Intavolierungsprobleme in Parallelstellen oft auf unterschiedliche Weise gelöst werden:
- Takt 16/19: Ganassi lässt in Takt 16, im Unterschied zu Takt 19, den Bass pausieren (siehe 4. Freie Lösungen).
- Takt 23/32: Hier zeigt Ganassi zwei rhythmisch unterschiedliche Möglichkeiten das Problem des zu großen Abstandes zwischen Tenor und Bass zu lösen. (Unterschied 1.1 - 1.4)
- Takt 25/33: Verschiedene Lösungen für die Kadenz (Unterschied 1.2 - 1.4)
- Takt 28/37: Gleiche Kadenz mit und ohne Bass-Oktavierung
X. Ficta:
Ganassi nützt alle Möglichkeiten zur Verwendung von Ficta aus:
NÄCHSTES KAPITEL - INHALTSVERZEICHNIS