Mit einem Symposium und einem Konzert stellt die Schola Cantorum Basiliensis/FHNW, das Musikmuseum Basel und das ensemble arcimboldo die Ergebnisse des Forschungsprojekts "Transformationen instrumentaler Klanglichkeit am Beispiel der frühen italienischen Viola da gamba" vor.
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Thilo Hirsch mit einer Renaissance-Viola da gamba
nach Ganassi, gebaut von Stephan Schürch
(Burgdorf), Foto: A. Padilla |
Das Motiv eines Frauenrückens mit Cello-Schalllöchern, Le violon d'Ingres, für welches Man Ray 1924 seine Muse Kiki de Montparnasse fotografierte, ist inzwischen weltberühmt. Die Assoziation eines Streichinstruments mit dem weiblichen Körper bestand allerdings schon seit der Renaissance. Deutlich zu erkennen ist das an der Korpusform einer Lira da braccio von Giovanni d'Andrea aus dem Jahr 1511 (Kunsthistorisches Museum Wien), deren Decke vom Erbauer zusätzlich noch mit weiblichen Brüsten und einem Bauch versehen wurde. Solch eine anthropomorphe Korpusform findet sich auch mehrfach in einem der wichtigsten Traktate der Renaissance für das Spiel der Viola da gamba, der Regola Rubertina von Silvestro Ganassi aus den Jahren 1542/43. Ganassi beschreibt hier erstmals detailliert die Spieltechnik und die Verwendungsmöglichkeiten der Viola da gamba, einem Instrument, das zu diesem Zeitpunkt erst seit wenigen Jahrzehnten existierte, es aber seitdem zu einer ungeahnten Blüte im Kulturleben der italienischen Städte gebracht hatte.
Besonders wichtig ist dabei die Entwicklung der tiefen Viole da gamba, durch welche es - im Unterschied zur Musik des Mittelalters - erstmals möglich wurde auch Tenor- und Bassstimmen mit einem Streichinstrument auszuführen. Voraussetzung dafür war eine jahrzehntelange Experimentierphase die schon im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts einsetzte und verschiedenste Instrumententypen mit zahlreichen morphologischen Unterschieden hervorbrachte. Fast noch bedeutender als die Transformation der äusseren Merkmale war jedoch die Entwicklung der Innenkonstruktion der Streichinstrumente, bevor sich im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts die - bis heute fast unveränderte - Bauweise mit Bassbalken und Stimmstock durchsetzte. Dass diese Entwicklung nur langsam und schrittweise vor sich ging, und auch Ende des 16. Jahrhunderts noch "Zwischenschritte" existierten, davon zeugen die, bis heute fast im Originalzustand erhaltenen, Streichinstrumente aus dem Freiberger Dom (Sachsen). Diese wurden um 1594 gebaut, jedoch noch ohne Bassbalken und mit einem oberhalb der F-Löcher unter der Decken-Mittelfuge aufgestellten Stimmstock. Explizit erwähnt wurde ein unter dem Diskant-Stegfuss aufgestellter Stimmstock - wie er noch heute üblich ist - erstmals 1636 in Marin Mersennes Harmonie universelle.
Diese "Transformation instrumentaler Klanglichkeit am Beispiel der frühen italienischen Viola da gamba" genauer zu untersuchen, war das Ziel eines BBT-Forschungsprojekts an der Schola Cantorum Basiliensis (SCB) von 2011 bis 2013. Zentrale Rolle spielte dabei die schon genannte Regola Rubertina Ganassis, die zeitlich ungefähr in der Mitte dieser Entwicklung liegt und so einen wichtigen "Schlüssel" zum Verständnis der Verwendung der Streichinstrumente in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts bildet, da hier erstmals eine Quelle vorliegt, die Ikonografie, spieltechnische Anweisungen und auch das musikalische Repertoire miteinander verbindet.
Die konzertierte Forschung der am Projekt beteiligten MusikwissenschaftlerInnen, MusikerInnen und KunsthistorikerInnen über Ganassi, seine Traktate und zahlreiche weitere schriftliche und ikonografische Quellen (es wurden ca. 900 Bilder in einer Datenbank erfasst) ergab eine Fülle an neuen Erkenntnissen. Ein weiteres Projektziel war die nachweisorientierte Rekonstruktion einer Viola da gamba nach Ganassi. Dies geschah durch die Kombination von Untersuchungen textlicher, ikonographischer und organologischer Quellen. Im Zuge dessen wurden in verschiedenen europäischen Museen (Wien, Nürnberg, Leipzig, Paris und Lissabon) geeignete Instrumente untersucht und teilweise neu vermessen. Eine besondere Bedeutung kam dabei den – sowohl in der Ikonographie als auch an den Instrumenten vorgefundenen – deutlich asymmetrischen Deckenstärken zu, deren akustische Auswirkung am Institut für Wiener Klangstil anhand eines 3D-Modells simuliert und in ihrer akustischen Relevanz bestätigt wurde. Auf Basis dieser Erkenntnisse entstand der Plan für ein definitives Instrumentenmodell (mit asymmetrischen Deckenstärken sowie ohne Stimmstock und Bassbalken), der von drei verschiedenen Instrumentenbauern realisiert wurde, um so auch den individuellen handwerklichen Einfluss auf das Resultat feststellen zu können. Diese Instrumente wurden schließlich mit den bei Ganassi und in weiteren Quellen überlieferten Angaben zur Spielweise praktisch erprobt.
Die Ergebnisse dieses Forschungsprojekts wurden an einem zweitägigen Symposium der SCB am 3. und 4. Mai im Museum für Musik, Basel der Öffentlichkeit theoretisch und praktisch präsentiert (inkl. zweier Workshops). Nach dem Symposium werden die Forschungsergebnisse u.a. in der RIMAB-Forschungsdatenbank der SCB (www.rimab.ch) veröffentlicht. Die neu gebauten Instrumente erklangen erstmals öffentlich in einem Konzert mit dem Titel "Col dolce suono" des ensemble arcimboldo (Leitung: Thilo Hirsch) am 3. Mai in der Musikakademie Basel. Zur Aufführung kam virtuose venezianische Musik aus dem Künstlerkreis um Ganassi, Adriano Willaert und der dort zur Muse stilisierten Sängerin und Kurtisane Polissena Pecorina. |
Transformationen instrumentaler Klanglichkeit am Beispiel der frühen italienischen Viola da gamba
Ein Symposium der Schola Cantorum Basiliensis - Hochschule für Alte Musik/FHNW in Zusammenarbeit mit dem Museum für Musik, Basel
3./4. Mai 2013
Musikmuseum, Basel, Im Lohnhof 9, Roter Saal
Beginn: Sa. 3. Mai, 13.30
3. Mai 2013
Musik-Akademie Basel, Kleiner Saal, 20.15
"Col dolce suono - Konzert mit virtuoser venezianische Musik aus dem Künstlerkreis um
Silvestro Ganassi, Adriano Willaert und Polissena Pecorina"
ensemble arcimboldo, Basel
Leitung: Thilo Hirsch
Alice Borciani – Sopran
Andreas Böhlen – Blockflöten
Baptiste Romain – Violine
Thilo Hirsch – Viola da gamba (nach S. Ganassi von Stephan Schürch)
Brigitte Gasser – Viola da gamba (nach S. Ganassi von Günther Mark)
Tore Eketorp – Viola da gamba (nach S. Ganassi von Judith Kraft)
Julian Behr
– Laute/Vihuela
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